Interview mit Maxim Kurennoy

Portrait Maxim KurennoyIm Gespräch mit Maxim Kurennoy
Maxim Kurennoy ist Architekt und Tiny-House-Designer. Mit seiner Frau und zwei Kindern lebt er seit drei Jahren in Berlin, wo er sich 2012 nach 20 Jahren als Architekt in Russland der Entwicklung von Tiny Houses gewidmet hat. Vor dem Umzug nach Berlin auf Anfrage des Berliner Senats, hat der gebürtige Russe in seinem Heimatland bereits ein erfolgreiches Architekturbüro geleitet und in Moskau viele große Wohn- und kommerzielle Projekte entworfen hat.

Maxim, Du hast bereits in Russland begonnen Tiny Houses zu entwerfen, nicht erst in Berlin?!

Maxim Kurennoy: Ja, ich habe 2011 damit begonnen, aber ich habe gemerkt, dass Russland nicht der geeignete Ort für solche Projekte ist. Russland ist einfach so groß und es gibt hohe Ölvorkommen. Dort ist man es gewohnt, mit Öl zu heizen. Und weil so viel davon da ist, kümmern sich nicht wirklich um den ökologischen Aspekt. Und auch begrenzter Lebensraum, wie ihn Tiny Houses eben vorgeben, ist hier nicht sehr gefragt. Also suchte ich nach einem anderen Ort, wo solche Eigenschaften mehr Anklang finden würden. Deshalb bin ich in Berlin.

Warum Tiny Houses?

Maxim Kurennoy: Tiny Houses sind für mich eine persönliche Herausforderung. Die besteht darin, etwa so möglichst viel Schlafraum in möglichst wenig Platz zu integrieren. So hat etwa unser 25 qm großes Tiny House fünf Schlafplätze. Das reicht für die ganze Familie einschließlich der Schwiegermutter.

Das war zwar etwas kompliziert, aber so ist das Musterhaus für unsere Modellpalette entstanden, das ein Doktor aus Dortmund dann gekauft hat. Als er es gesehen hat, sagte er: „Wow, ich kann kaum glauben, dass es so groß ist! Das sind doch keine 25 qm!“ Und ich antwortete: „Stimmt, eigentlich sind es 19 qm.“ Er konnte es nicht glauben.
Interview mit Maxim Kurennoy
Was ist der größte Vorteil von Tiny Houses?

Maxim Kurennoy: Es gibt zwei gute Gründe für Tiny Houses: der ökologische Fußabdruck und der Preis. Wer von einem eigenen Haus träumt und das Tiny House in Betracht zieht, kann schon für 30.000 Euro ein Eigenheim haben. Dafür muss man nicht einmal Grund besitzen. Man kann auch ein Stück Land mieten, man muss es nicht kaufen. Denn das Haus ist ja mobil.

Der zweite Vorteil ist, dass man seinen ökologischen Fußabdruck verringert. Nimm Berlin als Beispiel. Über die Hälfte aller Haushalte hier sind Single-Haushalte und eigentlich brauchen die nicht viel Raum: Eine Küche, ein Bad, einen Arbeitsplatz. All das passt in ein Tiny House mit weniger 25 qm hinein. Und man hat viel Platz um das Haus herum: eine Terrasse, Wiesen, Wälder.

Werfen wir einen Blick auf die Entwicklungen in der Autoindustrie, bekommen wir eine Idee davon, wie es um unsere Wohnungen in Zukunft bestellt sein wird. Nach Elektroautos sind Autos, die selbstständig fahren, der nächste Coup. Das wird unsere Fortbewegungsgewohnheiten komplett verändern. Denn die Fahrtzeit kann in die Arbeitszeit integriert werden.

Wer also etwas außerhalb leben will, in der Natur und fernab von überfüllten Innenstädten, wird sich diesen Lebensraum bald erschließen können. Und für diesen großen Schritt, wird es eine Lösung brauchen. Häuser komplett neu zu bauen, dauert sehr lange. Vier bis fünf Jahre. Aber ein Tiny House auf das eigene Grundstück im Grünen zu bringen, dauert eine Woche.

Es ist also eine sehr erschwingliche und klimafreundliche Art, neue Lebensräume außerhalb der Großstädte zu erschließen. Und, wie gesagt, spielt auch der Preis eine Rolle. Beim Hausbau machen Materialkosten, Entwürfe und Baukosten nur 25% der Gesamtinvestition aus. Mit Tiny Houses kann man diese Mittelmänner und Vermittlungsinstanzen, die am Hausbau mitverdienen, umgehen.

Das heißt, man spart Geld. Und bei kommerzieller Nutzung bedeutet es eine höhere Kapitalrendite. Büros oder Hotels wären denkbar. Eventuell auch nur zeitlich begrenzt. Denn die Wohnungen bleiben ja mobil. Man könnte also eine ganz neue, eigenständige Wirtschaftsstruktur um diese Tiny Houses herum erschaffen. Ganze Tiny House Gemeinden könnten entstehen.

Es wäre sogar denkbar, ein Tiny House auf Flachdächer zu installieren. Das wäre etwa für die Wohnungsnot in Berlin und anderen Großstädten eine Lösung. Man könnte sich auch eine Art globales Tiny-House-Network vorstellen, bei dem man einfach seinen Koffer packen kann und ohne Haus überall hinziehen kann, wo man möchte und wo gerade ein Tiny House frei ist.
Tiny Houses Maxim Kurennoy
Das klingt nach einer großartigen Vision, die Du da hast.

Maxim Kurennoy: Ich glaube tatsächlich, dass Tiny Houses Mainstream werden könnten. Denn sie sind eine klare, transparente und erschwingliche Art und Weise, um frei und unabhängig zu leben. Wären nur die Regulierungen nicht so streng und kompliziert. Vielleicht brauchen wir da einfach noch zehn Jahre. Aber der Anfang ist gemacht. In Berlin gibt es eine Tiny House University und deutschlandweit 13 Anbieter von Tiny Houses, in den USA sind es etwa 200.

Apropos USA und Regulierungen. Die ursprüngliche Idee von Tiny Houses ist ja, dass man sich unbegrenzt mit seinem Haus bewegen kann. In Amerika ist das möglich. In Deutschland nicht …

Maxim Kurennoy: Du hast Recht. Als ich nach Berlin kam, wusste ich nichts von den Gesetzen und Regeln. Ansonsten wäre ich vielleicht besser in die USA oder Australien gegangen. Denn ich hatte die Möglichkeiten, aber ich kannte und mochte Berlin.

Die Regulierungen sind wirklich sehr streng. In Schweden zum Beispiel gibt es ein spezielles Gesetz, wonach man, wenn das Haus kleiner ist als 25 qm, keinerlei Genehmigung benötigt, um es zu bauen.

Da kann man es einfach auf dem eigenen Land bauen und braucht nur die Behörden darüber zu informieren, dass man nun ein Haus hat. Und wenn man dieses Tiny House vermieten will, bezahlt ma für die ersten 4.000 Euro im Jahr keinerlei Steuern.

Oder im United Kingdom. Dort gibt es seit 1949 den Caravan-Law-Act, der auch festlegt, bis zu welcher Größe Wohnraum mobil und registrierungslos erlaubt ist. In Deutschland gibt es so etwas nicht. Stattdessen gibt es hier sogar von Bundesland zu Bundesland andere Regulierungen.

Selbst wenn wir viele Interessenten für unsere Tiny Houses haben, bis die alle Genehmigungen beisammen haben, kostet sie das viel Zeit und Geld. Der ganze Vorgang ist einfach sehr langsam. Und die Regulierungen sind da der Knackpunkt.

Ich habe sogar mit einigen Lobbyisten in Brüssel gesprochen, ob es nicht vielleicht eine gute Idee wäre, ein gesamteuropäisches Gesetz zur Regulierung von Tiny Houses auf den Weg zu bringen. Denn es ist nicht nur ein deutsches Problem. In Frankreich und Italien ist es das gleiche.

Im Grunde steht das ja im kompletten Widerspruch zur europäischen Idee der Freizügigkeit …

Maxim Kurennoy: Ja, so ist das Leben. Wir sprechen von Freiheit und errichten gleichzeitig so viele Hindernisse und Hürden.
Maxim Kurennoy Tiny Houses
Wo wir gerade von Hürden sprechen: Wie hast Du vor eurem Umzug in ein Tiny House gelebt und was war beim Einzug in das Minihaus die größte Hürde, die Du überwinden musstest?

Maxim Kurennoy: Zu Beginn meiner Karriere hatte ich eine Einzimmerwohnung in Moskau. Als wir unsere Familie gegründet haben, haben wir uns eine größere Wohnung gesucht und hatten dann ein großes Loft. Der Punkt ist, dass wir in diesem großen Apartment viel ungenutzten Raum hatten. Dort hat sich über die Jahre jede Menge „Müll“ angesammelt.

Und als wir nach Berlin gezogen sind, haben wir gemerkt, dass wir 70% unserer Sachen gar nicht wirklich brauchen. Wir haben alles Überflüssige einfach weggeworfen. Wenn Du dann auf kleinem Raum lebst, konzentrierst Du dich mehr auf das, was Du wirklich brauchst. Wenn Du keinen Platz für etwas hast, kannst Du es nicht kaufen. Das ist der größte Unterschied.

Ja, Tiny Houses sind ja nun einmal klein. Ihr lebt zu viert in einem. Gab es jemals einen Punkt, an dem Du dich irgendwie eingeengt gefühlt hast?

Maxim Kurennoy: Nein, überhaupt nicht. Wir verbringen jeden Sommer einige Wochen zusammen auf dem Land in Russland, wo wir unser 40 qm großes Tiny House haben. Ein weiteres mit 25 qm gehört dort meiner Schwiegermutter. Es ist wirklich genug Platz. Das Haus hat eine Terrasse, rundherum ist freies Land, in der Nähe ist das Dorf, wo unsere Freunde wohnen.

Es kommt darauf an, wie viele Dinge man besitzt. Man schafft sich keine unnötigen Dinge an, Du kaufst nicht zu viele Kleidung oder Essen, Du räumst besser auf und das Haus ist schneller aufgeräumt und geputzt, weil es so klein ist. So kann man bis zu einer Stunde Zeit am Tag Zeit einsparen. Und das ist wichtig. Das ist freie Zeit.

Und bist immer sehr eng zusammen. Du kannst an einem Tisch arbeiten, während deine Kinder am gleichen Tisch spielen und malen oder essen. Es ist ein besseres Familienleben. Und ein Tiny House ist auch leichter zu heizen. In kalten Nächten braucht man nicht so viel Energie, um das Haus warm zu halten. Ein normaler Holzkamin reicht völlig aus.

Und was ist professionell gesehen als Architekt für dich der herausforderndste Teil beim Entwurf eines Tiny House?

Maxim Kurennoy: Der härteste Teil ist gar nicht das Entwerfen, sondern das Anliefern und das Aufbauen. Schon bevor man das Haus liefern kann, benötigt man jede Menge Genehmigungen und Unterlagen und bis man die alle zusammen hat, vergehen Wochen und Monate. So warten wir aktuell bereits seit zwei Monaten auf eine Genehmigung, ein Tiny House von Berlin nach Dortmund liefern zu dürfen.

Und das andere ist die Installation. Technisch gesehen könnte das Haus binnen einer Stunde an die Wasser- und Stromversorgung vor Ort angeschlossen sein. Aber die Genehmigung dafür muss ein Verantwortlicher der Behörden erteilen. So sehr ich Deutschland liebe, aber manchmal ist es einfach zu viel.

Aber, das Bauen selbst, ist nicht schwer. Theoretisch kann das sogar jeder mit etwas handwerklichem Geschick selbst machen. Was das Entwerfen angeht, so habe ich 11 Hauptentwürfe für Tiny Houses ausgearbeitet und weiß dadurch viel über wenig Platzoptimierung und Stauraum und wie die Menschen darin leben.

Konstruierst Du auf Kundenanfrage auch individuelle Tiny Houses?

Maxim Kurennoy: Also, im Moment haben wir drei Modellhäuser. Und die Module entwerfen wir so, dass man sie jederzeit ganz leicht verändern kann. Man kann etwa die Fenstergröße und die Stelle für Fenster bis zu einem gewissen Grad verändern. Und natürlich die Einrichtung. Oder man kann ein weiteres oder zwei weitere Module hinzufügen, um den Wohnraum zu vergrößern.

Momentan haben wir einen Kunden, der 10 Einheiten haben will, aber alle 10 in unterschiedlichem Design. Und das kostet Zeit und damit Geld. Wenn man einen erschwinglichen Preis bezahlen will, sollte man nicht zu viele Veränderungen einplanen. Aber natürlich kann der Käufer selbst die Möbel aussuchen, denn die Raumgrößen sind alle genormt.
Interview zu Tiny Houses
Können Tiny Houses auch zwei Stockwerke haben?

Maxim Kurennoy: Ja, das geht, aber die Treppe ist immer ein Problem. Einerseits sind sie nicht sicher für kleine Kinder und ältere Menschen. Andererseits braucht sie auch viel Platz. Darum versuchen wir, solche Konstruktionen zu vermeiden. Es ist besser, mehrere Module auf der gleichen Ebene zu verbinden. Das ist natürlicher.

Warum wirken Tiny Houses von innen größer als von außen?

Maxim Kurennoy: Das hängt mit der Farbwahl, der Beleuchtung und der Fenstergröße zusammen. Und natürlich mit einem smarten Design. Meine professionelle Herausforderung ist also, den Raum so dicht wie möglich zu bepacken, ohne ihn überladen aussehen zu lassen. Deshalb arbeite ich momentan auch nicht nur als Architekt für Tiny Houses, sondern auch als Berater für Architekten, die sich mit der Gestaltung von Mikroapartments beschäftigen.

Das Raumideen-Team bedankt sich bei Maxim für seine Zeit und Geduld. Wer mehr über seine Tiny Houses erfahren möchte, kann einen Blick auf die Webseite von Futteralhaus werfen.


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